Liebe Italiener
Meint ihr, dass sich Euer Nachlass nach Schweizer Recht richtet, weil Ihr seit Jahrzehnten in der Schweiz lebt oder sogar in der Schweiz geboren seid? Dann liegt Ihr falsch. Denn für Italiener gilt grundsätzlich das italienische Erbrecht als sogenanntes «Heimatrecht» (dasselbe gilt übrigens umgekehrt für Schweizer mit letztem Wohnsitz in Italien).
Staatsvertrag zwischen Italien und der Schweiz
Zwischen der Schweiz und Italien besteht ein Staatsvertrag, nämlich der «Niederlassungs- und Konsularvertrag vom 22. Juli 1868». Diesem Vertrag zufolge richtet sich die Erbfolge bzw. Erbberechtigung nach dem Heimatrecht des Verstorbenen. Bei einem Italiener (nicht aber bei einem Doppelbürger) mit letztem Wohnsitz in der Schweiz bedeutet dies, dass italienisches Recht anwendbar ist.
Streitigkeiten über die Erbberechtigung sind von den Gerichten am letzten Wohnsitz im Heimatland zu klären; bei einem Italiener mit letztem Wohnsitz in der Schweiz also vor den Gerichten am Ort seines letzten Wohnsitzes in Italien vor der Auswanderung oder – falls er in der Schweiz geboren ist – am italienischen Heimatort (sog. «attinenza»). Der Staatsvertrag kann also dazu führen, dass sämtliche erbrechtlichen Fragen vor italienischen Gerichten ausgetragen werden müssen.
Zuständigkeit für formelle Nachlassregelung
Nicht restlos geklärt ist, welche Behörden für die formelle Nachlassregelung (z.B. Testamentseröffnung und Sicherungsmassnahmen) zuständig sind. Viele kantonale Behörden interpretieren den Staatsvertrag so, dass die Testamentseröffnung, die Ausstellung der Erbbescheinigung und erbrechtliche Sicherungsmassnahmen auch in der Schweiz durchgeführt werden können.
Italienisches Erbrecht
Die Unterschiede zwischen italienischem und schweizerischem Erbrecht sind beträchtlich: Nach italienischem Erbrecht erfolgt die Erbfolge primär aufgrund eines Testaments. Fehlt ein solches, greift die gesetzliche Erbfolge.
Gemäss dieser gehören zu den gesetzlichen Erben der überlebende Ehegatte, die Nachkommen, die Eltern, Seitenverwandte, weitere Verwandte und der Staat. Gibt es Nachkommen, sind andere Verwandte und der Staat von der Erbfolge ausgeschlossen. Hat z.B. der überlebende Ehegatte mit nur einem Nachkommen zu teilen, steht beiden je die Hälfte des Nachlasses zu. Teilt der überlebende Ehegatte aber mit zwei Nachkommen, so erhalten alle je 1/3 des Nachlasses. Wenn die Erbschaft hingegen an die elterliche Verwandtschaft fällt, erben Geschwister (nicht Halbgeschwister) auch dann, wenn beide Eltern noch leben. Diese erben neben den Eltern nach Köpfen, wobei den Eltern zusammen mindestens die Hälfte des Nachlasses zusteht. Kinder vorverstorbener Geschwister treten an deren Stelle (sog. «Repräsentationsrecht»).
Pflichtteilsberechtigt sind der überlebende Ehegatte, die Nachkommen und die Eltern. Hinterlässt der Erblasser nebst des Ehegatten mehr als einen Nachkommen, so beträgt der Pflichtteil des Ehegatten 1/4 und jener der Nachkommen insgesamt die Hälfte des Nachlasses. Hinterlässt der Erblasser nebst des Ehegatten nur einen Nachkommen, so beträgt der Pflichtteil beider jeweils 1/3 des Nachlasses.
Schweizerisches Erbrecht
Das schweizerische Recht kennt einen kleineren Kreis gesetzlicher und pflichtteilsberechtigter Erben. Die nächsten Erben des Erblassers sind seine Nachkommen, die zu gleichen Teilen erben. An die Stelle vorverstorbener Kinder treten deren Nachkommen. Der überlebende Ehegatte erhält je nach Konstellation die Hälfte, drei Viertel oder die gesamte Erbschaft. Gibt es keine Nachkommen, fällt die Erbschaft an den elterlichen Stamm. Gibt es weder Nachkommen noch elterliche Erben, fällt die Erbschaft an die Grosseltern. Mit dem Stamm der Grosseltern endet die Erbberechtigung der Verwandten und die Erbschaft geht an den Staat.
Pflichtteilsberechtigt sind im Schweizer Erbrecht nur die Nachkommen und der überlebende Ehegatte. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
Rechtswahlmöglichkeiten und Empfehlungen
Nicht restlos geklärt ist, ob gemäss Staatsvertrag eine Rechtswahl überhaupt zulässig ist. Die überwiegende Meinung spricht sich aber dafür aus.
Beide Rechtssysteme haben Vor- und Nachteile. Eine Wahl des italienischen oder schweizerischen Rechts ermöglicht es der betroffenen Person, das für sie passende Recht anzuwenden. Viele Italiener leben mit ihren Angehörigen seit Jahrzehnten in der Schweiz und kennen daher das hiesige Rechtssystem besser als das italienische. Daher kann eine Wahl des schweizerischen Rechts und der schweizerischen Zuständigkeit vorteilhaft sein.
Damit eine solche Wahl im Todesfall berücksichtigt wird, muss sie ausdrücklich in einem handschriftlichen oder notariell beurkundeten Testament festgehalten werden (Erbverträge sind aus italienischer Sicht nichtig. Vor Abschluss eines Schweizer Erbvertrags sollten daher Italiener zuerst mit einem Testament Schweizer Erbrecht wählen). Es ist wichtig, nicht nur die Zuständigkeit der Schweizer Gerichte, sondern auch die Anwendung des schweizerischen Erbrechts klar zu erwähnen.
Aus italienischer Sicht blieben aber Pflichtteilsansprüche von in Italien wohnhaften Pflichtteilserben von einer Wahl Schweizer Rechts unberührt. Dieses sogenannte «Noterbrecht» ist somit in jedem Fall zu beachten.
Sofern Immobilien in Italien vorhanden sind, über die erbrechtliche Anordnungen zu treffen sind, empfiehlt es sich, diese in einem öffentlichen Testament nach italienischem Recht zu regeln und es bei der zuständigen Stelle registrieren bzw. hinterlegen zu lassen.
Gerne unterstützen wir Sie bei Ihrer Nachlassplanung oder der Teilung eines Nachlasses mit Berührungspunkten zu Italien.