Beweis und Beweiswürdigung einer Arbeitsunfähigkeit

Wenn Krankheit zum Hindernis wird. Ein Überblick über Beweislast, vertrauensärztliche Untersuchungen und Rechte von ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen. …

am 17. April 2024

um 17:25 Uhr

Der Grundsatz von «ohne Arbeit kein Lohn» greift u.a. dann nicht, wenn eine angestellte Person, namentlich aufgrund einer Krankheit ohne eigenes Verschulden, an der Arbeitsleistung verhindert ist. Die Beweislast für eine Arbeitsunfähigkeit trägt die angestellte Person. In der Regel wird dieser Beweis mittels eines Arztzeugnisses erbracht, doch kommt diesem Zeugnis kein absoluter Beweiswert zu. Bestehen Zweifel an der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit, kann eine vertrauensärztliche Untersuchung seitens der Arbeitgeberin verlangt werden. Nachfolgend soll ein Überblick über die Rechte und Pflichten der Parteien in einem solchen Fall verschafft werden.

Allgemeine Rechtsfolgen einer Arbeitsunfähigkeit

Liegt eine unverschuldete Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit vor, so hat die angestellte Person für eine beschränkte Zeit weiterhin Anspruch auf den Lohn. Die Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberin hängt von der Dauer des Anstellungsverhältnisses und des Arbeitsortes ab (zu den Tabellen https://www.seco.admin.ch).

In den meisten Fällen haben die Parteien eine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen, welche alsdann die Krankentaggelder nach Massgabe des Vertrages erbringt.

Die Arbeitsunfähigkeit hat (i.d.R. vgl. dazu mehr unter arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit) auch eine Sperrwirkung, welche eine ordentliche Kündigung durch die Arbeitgeberin verbietet. Diese Sperrwirkung hängt ebenso von der Dauer der Anstellung ab und beträgt im ersten Dienstjahr 30 Tage, ab dem zweiten bis und mit fünften Dienstjahr 90 Tage und ab dem sechsten Dienstjahr 180 Tage. Längere Sperrfristen können sich aus einem im Einzelfall anwendbaren Normalarbeitsvertrag oder aus einem Gesamtarbeitsvertrag ergeben.

Beweis der Arbeitsunfähigkeit

Vergegenwärtigt man sich obige Rechtsfolgen, so kommt dem Beweis der Arbeitsunfähigkeit in der Praxis erhebliche Bedeutung zu. Den Beweis einer Arbeitsunfähigkeit hat die angestellte Person zu erbringen. In der Regel wird die Arbeitsunfähigkeit mittels eines Arztzeugnisses belegt. Diesem kommt indessen kein absoluter Beweiswert zu. Das Vorliegen eines Arztzeugnisses ist aber auch nicht immer zwingend notwendig, um den Beweis einer Arbeitsunfähigkeit zu erbringen, denn es steht der angestellten Person auch zu, die Gesundheitsstörung anderweitig nachzuweisen. Es bleibt somit die Frage nach der Beweiswürdigung, welche in einem strittigen Fall schlussendlich das Gericht vorzunehmen hat.

Beweiswert von Arztzeugnissen

Wie erwähnt ist ein Arztzeugnis kein absoluter Beweis für die Arbeitsunfähigkeit. Ein Gericht muss sich namentlich dann über Arztzeugnisse hinwegsetzen, wenn sich aus den Umständen begründete Zweifel an der attestierten Arbeitsunfähigkeit der angestellten Person ergeben.

Zweifel an den Arztzeugnissen können sich aus unterschiedlichen Gründen ergeben. Das Verhalten der angestellten Person selbst kann begründete Zweifel an der Richtigkeit des Zeugnisses fördern. Als weitere Beispiele seien hier exemplarisch genannt: Der häufige Arztwechsel, das verspätete Aufsuchen eines Arztes oder auch Zeugnisse, die ausschliesslich auf einer «Patientenschilderung» basieren. Grosse Zweifel an der Richtigkeit eines Arztzeugnisses ergeben sich dann, wenn der Beginn der attestierten Arbeitsunfähigkeit mehrere Tage vor der Erstkonsultation liegt und hierfür keine nachvollziehbaren Gründe vorliegen. Weitere typische Fälle, die Verdacht schüren können, sind Arbeitsverhinderungen, die angekündigt wurden oder unmittelbar vor oder nach der Kündigung oder vor dem «Antrittsdatum» verweigerter Ferien geltend gemacht werden.

Vertrauensärztliche Untersuchung

Wenn die Arbeitgeberin aufgrund objektiver Anhaltspunkte ein Arztzeugnis anzweifelt, kann sie von der angestellten Person verlangen, sich bei einem Vertrauensarzt der Firma auf deren Kosten untersuchen zu lassen. Die Arbeitgeberin darf vom Arzt diejenigen Daten erheben, welche zur Durchführung des Arbeitsvertrages oder zur Abklärung der Einigung der angestellten Person erforderlich sind. Dazu gehören u.a. die Tatsache, die Dauer und der Grad der Arbeitsunfähigkeit und wegen der Versicherungsdeckung auch die Frage, ob es sich um eine Krankheit oder einen Unfall handelt und bei verbleibender Teilarbeitsfähigkeit die Fragen nach einer Ansteckungsgefahr oder die Modalitäten der Verwertung der (Rest-) Teilarbeitsfähigkeit. Wichtig ist ebenso, dass auch die Frage nach der sog. arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit (vgl. dazu Ziff. 6 hiernach) geklärt werden kann. Das ärztliche Personal darf nur so weit Auskunft geben, als es vom Berufsgeheimnis befreit ist, was durch den Wunsch der angestellten Person, ein Arztzeugnis aus- und der Arbeitgeberin zuzustellen, konkludent (Art. 328b OR) erfolgen kann.

Die angestellte Person ist verpflichtet, der Aufforderung des Besuchs des Vertrauensarztes nachzukommen, dies aufgrund ihrer arbeitsrechtlichen Treuepflicht. Verweigert eine angestellte Person den Gang zum Vertrauensarzt trotz Abmahnung, verliert sie ihren Lohnanspruch.

Beweiswürdigung

Anspruchsvoll ist die Beweiswürdigung, wenn sich die Befunde des behandelnden Arztes der angestellten Person und des Vertrauensarztes der Arbeitgeberin widersprechen. In solchen Fällen kommen neben der Qualität und Aussagekraft der Zeugnisse und allfälligen Zeugenaussagen der involvierten Ärzte insbesondere deren Fachwissen bezogen auf das im Raum stehende Leiden und der Häufigkeit, Tiefe und Zeitnähe der persönlichen Untersuchung des Patienten Gewicht zu. Diese Herausforderung stellt sich auch den Gerichten. Zwar können die Gerichte im Zweifelsfall einen unabhängigen Gutachter zur Klärung beauftragen, doch bringt dessen Befund häufig nicht die gewünschte Klärung, wenn die Begutachtung erst Monate nach der strittigen Arbeitsunfähigkeit stattfindet.

Lässt sich weder das eine noch das andere beweisen, so trägt eben die angestellte Person das Risiko der Beweislosigkeit.

Arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit

Wie dargelegt hat die angestellte Person namentlich bei einer Arbeitsunfähigkeit während einer bestimmten Dauer Anspruch auf den darauf entfallenen Lohn und kommt grundsätzlich in den Genuss eines zeitlich beschränkten Kündigungsschutzes (Sperrfrist).

Bei der arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit verhält es sich dergestalt, dass die angestellte Person ausschliesslich in Bezug auf ihre konkrete Stelle an der Arbeit verhindert ist und bei einer anderen Arbeitgeberin ganz normal arbeitsfähig wäre. Häufig wird eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit bei Konfliktsituationen am Arbeitsplatz bescheinigt.

Grundsätzlich würde eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit den zeitlichen Kündigungsschutz auslösen. In der Gerichtspraxis wird indessen vermehrt anders argumentiert, und zwar aufgrund des Sinns und Zwecks des zeitlichen Kündigungsschutzes. Der Sinn und Zweck des Sperrfristenschutzes besteht nämlich darin, dass der arbeitsunfähigen angestellten Person in Zeiten, in denen ihre Chancen gering sind, während der Kündigungsfrist eine neue Arbeit zu finden, vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes geschützt wird. Diese Voraussetzungen sind bei einer ausschliesslich arbeitsplatzbedingten Arbeitsunfähigkeit eben nicht gegeben, zumal die angestellte Person für eine andere Anstellung keine Einschränkungen hat. Eine Kündigung wäre somit während einer arbeitsplatzbedingten Arbeitsunfähigkeit gültig bzw. bei bereits ausgesprochenen Kündigungen würde die Kündigungsfrist nicht verlängert.

Haben Sie Zweifel, ob Sie als Arbeitgeberin kündigen dürfen oder wollen Sie eine Kündigung der Arbeitgeberin auf deren Rechtmässigkeit prüfen? Wir stehen Ihnen gerne zur Verfügung.